Ich kam am 8. Mai 1933 in Cluj, der Hauptstadt der rumänischen Provinz Transsilvaniens, auf die Welt. Neben den Rumänen lebten in der Provinz zahlreiche Ungarn, die schon durch die Verwendung ungarischer Ortsnamen ihren Anspruch auf Gleichberechtigung oder Dominanz anmeldeten. So hiess Cluj auf Ungarisch Kolozsvár und Marghita Margitta. Von 1940 bis 1945 stand das Gebiet unter ungarischer Herrschaft.
Ich war das einzige Kind von Izsó Löb und Jolán Löb geb. Rosenberg. Mein Vater war Kaufmann. Meine Mutter starb 1942 an TB. Um eine Ansteckung zu vermeiden, durfte ich ihr Krankenzimmer vier Jahre lang nicht betreten und konnte nur von der Türschwelle aus mit ihr reden. Die ersten zehn Jahre meines Lebens verbrachte ich in Marghita, einem grossen Dorf mit 8500 Einwohnern, darunter etwa 3000 Juden. Mit meinen Eltern gehörte ich zu den „Neologen“, die den religiösen Regeln nicht streng folgten, mehr ungarisch als jiddisch sprachen und sich in die ungarische Kultur zu assimilieren versuchten.
Man kann sagen, dass im 20. Jahrhundert Ungarn das antisemitischste Land in Europa war. Gegen Ende der 1930er Jahre wurden Gesetze erlassen, die den Juden fast alle Rechte entzogen. Ab 1940 waren diese Gesetze auch in Transsilvanien gültig. Als es noch kein Ausgehverbot für Juden gab, ging ich oft mit Sári, der jüngeren Schwester meiner Mutter, schwimmen, spazieren oder ins Kino, um Tarzan oder Popeye zu bewundern. Sári hatte für mich aus Stoffresten einen kleinen Hund gebastelt, den ich immer bei mir trug. Ich wusste nicht, dass Sári und ihre Freunde während ihrer Ausflüge in die Berge kommunistischen Unterricht erhielten und gelegentlich von der ungarischen oder rumänischen Polizei misshandelt wurden.
In der Primarschule in Marghita bekam ich immer die besten Noten, bis die jüdischen Kinder einem Lehrer übergeben wurden, der sich durch sadistische Strenge im Unterricht und in der Benotung für diese Schmach rächte. Zu Hause lernte ich von Jeschiwa-Studenten hebräisch lesen, ohne die Worte zu verstehen, oder spielte mit meinen jüdischen Freunden, wenn ich nicht Grimms Märchen las. Draussen in den Gassen floh ich zu Fuss oder auf dem Rad vor den Bauernlümmeln, die mich „Saujud“ nannten und mit Steinen bewarfen. Einige antisemitische Episoden aus dieser Zeit blieben mir bis heute im Gedächtnis.
Einmal stand ein schmutziger Strassenjunge vor unserem Haus und grölte zur Melodie der „Hatikwa“ ein Lied, das die „Stinkjuden“ aufforderte, sich nach Palästina zu „verpissen“. Ich glaubte, dass jemand den Verrückten verhaften würde, aber niemand tat es.
An Feiertagen mussten alle Häuser beflaggt werden. Ich weiss nicht mehr, ob ich je mit meinen Luftsprüngen wenigstens die Fransen erreichte, aber mein Vater wurde zu einer hohen Busse verurteilt, weil sein „jüdischer Sohn“ die „ungarische Nation beleidigt“ hatte.
Meine Mutter war weithin nicht nur für ihre Schönheit, sondern auch für ihre Ordnungsliebe und Sauberkeit bekannt. Während ihrer Krankheit tat sie alles, was sie konnte, um ihre Umgebung vor Bakterien zu schützen. Trotzdem wurde mein Vater zu einer noch höheren Busse verurteilt, weil seine Frau „mit ihrer teuflischen jüdischen Intelligenz“ versucht habe, „die ungarische Nation zu vergiften“.
Lange bevor ich die abstrakten Begriffe kennen lernte, wusste ich, welches Unheil die Kombination von Nationalismus und Judenhass anrichten konnte.