Caux

Nach einem kurzen Aufenthalt in St. Gallen fuhren wir quer durch die Schweiz nach Caux, einem hoch über Montreux am Genfer See gelegenen Dorf. Ich staunte über so viel Schönheit und kämpfte gleichzeitig gegen den Brechreiz in den scharfen Kurven der Bahn.

Während des Kriegs kamen wenig Touristen in die Schweiz. Deshalb wurden viele Hotels zu Flüchtlingslagern umfunktioniert – für uns das Caux Palace, das damals Esplanade hiess und einmal das luxuriöseste Hotel der Schweiz gewesen war. Allerdings entsprachen die Zustände im Hotel keineswegs der imposanten äusseren Erscheinung. Die Zimmer waren trotz ihrer Grösse und Vielzahl überfüllt. Geheizt wurde mitten im Winter nicht. Ein skrupelloser jüdischer Verpflegungsoffizier verkaufte für die Gruppe bestimmte Lebensmittel zu seinem eigenen Profit. Es gab viel Streit, schwere Erkrankungen und mehr Selbstmorde als in Bergen-Belsen. Die Euphorie über unsere Befreiung war neben den Berichten über den Holocaust schnell verblasst.

Als die Schweizer Regierung beschloss, uns nach Algerien auszuschaffen, erhob sich ein Aufschrei der Empörung in Caux und in der Presse ausserhalb. Im grossen Saal des Hotels fanden lautstarke Protestversammlungen statt, in denen dem Beschluss der Regierung einstimmig der Gehorsam verweigert wurde. Ich trug mit den Kapseln einer Spielzeugpistole zum Lärm bei. Zuletzt gab die Regierung der öffentlichen Meinung nach und verzichtete auf unsere unverzügliche Ausweisung. Ich kehrte zu meiner friedlichen Lieblingsbeschäftigung zurück, indem ich die tiefsten Untergeschosse des Hotels erforschte oder zwischen den Ziertürmchen auf dem Dach herumkletterte.